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Ursula Bauer – Ein Sonntag im April

05. April 2020

Durchsichtig hellblau ist der Morgenhimmel, die Spatzen hüpfen in heller Aufregung im Geäst vor meinem Balkon herum. Waren sie in früheren Zeiten auch schon so penetrant fröhlich? Oder höre ich sie nur besser? Es ist sehr still rundum. Nicht nur, weil’s Sonntag ist.

Mein Morgen wie immer. Kaffee. Und Zeitungen, auch wenn sie momentan volumenmäßig an Auszehrung leiden.

Wirtschaftsauguren, Philosophen und andere wortgewaltige Experten verdrängen zunehmend die Virologen und Statistiker aus den Aufschlagseiten. Milo Rau geriert sich als Raubein: »Kaiser Kapitalismus lässt nur kurz die Hose runter, damit wir ihm die Rettungspakete besser in den Arsch schieben können.«

Oder, durch den Fleischwolf deutscher Wortkunst getrieben dies: »Die Schweiz. Vielfacher Infektionsweltmeister, Gesichtsmaskennotstandsgebiet ... Dennoch allenthalben Zufriedenheit, Bewunderung der eigenen Stärken, der Organisation, der heiteren Disziplin.« Wie schön.

Noch schöner und eher was fürs Feuilleton: »Die Vögel singen grausame Frühlingslieder. Die Tiere erobern die Städte. Wolfsrudel belauern Schlangen vor den Supermärkten.« Franz Hohler? Nein, Christoph Höhtker. Kurz gesagt, meine Morgenlektüre, zumindest die heutige, ist amüsanter als auch schon.

Der Frühlingshimmel ist jetzt dunkelblau, die Sonne brennt schon fast sommerlich. Im Gärtchen unten im Hof sonnt sich eine junge Frau im Bikini, neben ihr (zwei Meter Abstand!) hockt ein Jungmann in Faserpelz und Wollmütze. Aus einem Fenster röhrt Bruce Springsteens »Born in the U.S.A.«. Alles, was grünen kann, grünt. Auch weiß-rote Abschrankungsbänder schießen seit kurzem ins Kraut. Es lächelt der See, er kann das gut ganz ohne uns.

Ich bin zu einer Sonntagsvisite in Nachbars großen Garten eingeladen. Der selbstgemachte Osterkuchen schmeckt toll. Nach alten Zeiten. Zu schaffen macht die Zwei-Meter-Regel: »Was hast du gesagt, du redest so leise.« Leichte Verlegenheit. Wir üben. Vier Personen, vier Geschichten, mit einem großen gemeinsamen Nenner. Was kommt nach dem gigantischen Katastrophentsunami? Sind wir wirklich »heiter disziplinierte« Lämmer Gottes? Und falls der Herr nicht mehr mit uns ist, was viele vermuten, wessen Lämmer sind wir dann?

Frag ich mich natürlich auch, wenn auch aus der privilegierten Warte derer, die weder Kinder, noch Enkelkinder haben und auch sonst nicht mehr groß ins Gewicht fallen, außer in einer Zeit wie dieser, wo der ach so löbliche Schutz der Alten und Schwachen (ist doch das gleiche, oder?) auch für Notrecht und Quarantänebestimmungen gut ist.

Auf meinem Balkon frage ich mich, wann man wieder ohne schlechtes Gewissen stadtflüchten darf. Nicht weit, behüte. (Der Juni in Kanada ist eh gestrichen.) War es Intuition, war es ein Aktivitätsschub (oder schlicht die Nachwehen von jahrzehntelangem Wandern), was mich Anfang Jahr ein Wasser-Wander-Tagebuch planen ließ? Die Flüsse und Bäche um Zürich zu den gebotenen Jahreszeiten abwandern. Im Winter war’s die Limmat. Jetzt wäre der Frühling im Sihltal angesagt. Später, im Sommer der Ybrig, dort gäbe es viel zu tun, der Bäche und Wässerchen, die der Sihl zufließen, sind es viele. Bis Ende Jahr möchte ich alle erkundet haben. Für 2020 als Reiseprogramm ziemlich stimmig.

Und heute Abend gibt’s Binge Watching, auch Komaglotzen genannt.

Ursula Bauer, Zürich, Schweiz

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