24. April 2020
Gestern Abend nach Ladenschluss hat mir der Mitinhaber meiner Apotheke die Masken ins Haus gebracht – zu meiner großen Erleichterung, habe ich mich doch für heute, Freitag, entschieden, per Zug ins Wallis zu fahren, ins Simplongebiet. Eigentlich ein No-Go, insbesondere für eine Frau von 74 Jahren. Und dazu musste ich zumindest eine Maske haben, nebst Desinfektionsmittel. Und das alles nur wegen der Mäuse, die sich in der Alphütte aus dem Familienerbe meines Mannes gütlich tun: Sie fressen alles, nisten sich überall ein, Nage- und Kotspuren noch und noch. Ich habe etliche Stunden während der Quarantäne mit dem Flicken von Duvets und anderem mehr verbracht – immer mit der Frage im Kopf, wie es nun da oben aussehen mag auf 1720 Meter über Meer. Ob unsere Präventionsmaßnahmen wohl genutzt haben: Löcher mit Stahlwolle stopfen, Fallen stellen, Sensoren platzieren?
Bis jetzt haben wir uns mit Ausnahme regelmäßiger Spaziergänge in den nahen Wald an die Parole »Bleibt zu Hause« gehalten, mit den Enkelkindern nur von der Terrasse herunter oder per FaceTime kommuniziert, Sohn und Freundin zum Einkaufen geschickt, uns von der nahen Buchhandlung und der Apotheke über die Straße den notwendigen Stoff für Kopf und Körper bringen lassen. Nur ganz ausnahmsweise haben wir etwas online bestellt. Mit schlechtem Gewissen, ist es mir doch ein essenzielles Anliegen, dass ganz konkret im Laden eingekauft und an der Kasse bezahlt wird – »damit der Laden läuft«, wie die von mir mitherausgegebene Broschüre zum Detailhandel heißt. Während zu Beginn der Coronakrise neben dem Pflegepersonal auch die Arbeit der Angestellten im Verkauf als systemrelevant gelobt und an die schlechten Arbeitsbedingungen, die tiefen Löhne und die Respektlosigkeit vonseiten der Konsument*innen erinnert wurde, sind in den letzten Wochen diese ebenso lobenden wie kritischen Stimmen weitgehend verstummt. Wie sehr beispielsweise die Krise einer Verkäuferin mit Kindern zusetzt, die gleichzeitig im Laden stehen und die schulischen Aufgaben des Nachwuchses überwachen soll – kaum ein Thema. Wie sehr der Lockdown ihre schon prekäre Einkommenssituation noch mehr bedroht – auch kein Thema. Umso heftiger nun der Druck von bürgerlicher Seite, von Rösti bis Gössi, die Läden ohne großes Wenn und Aber ab sofort zu öffnen. Der Sonntagsverkauf soll für die nächsten Wochen eingeführt, die Ladenöffnungszeiten verlängert, am 1. Mai im Kanton Zürich die Geschäfte geöffnet werden. Massnahmen, die alle auf Kosten des Personals gehen. Der kurze Moment der Hoffnung auf Besserung ist verflogen, Wut steigt auf.
Auf dem Weg hinauf zur Alphütte habe ich neben dem Enzian und der Küchenschelle erstmals purpurne Enzianellen gesehen. Und in der Hütte: fünf tote Mäuse. Der Schaden hält sich in Grenzen. Nun bin ich am späten Abend wieder zurück in Zürich. Morgen, Samstag, läuft die Feier zum Dies Academicus im Netz ab, und so findet auch meine Ernennung zur Ehrendoktorin der Universität Zürich virtuell statt.
Elisabeth Joris, Zürich, Schweiz
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