18. April 2020
Unverhofft lande ich an einem Ort, um den man dieser Tage einen Bogen macht. Nachts stürze ich zu Hause auf der Treppe, die Ambulanz bringt mich auf einer Bahre ins Basler Unispital. Der Notfallarzt macht eigenmächtig Triage – ich solle mich einverstanden erklären, dass ich auf künstliche Beatmung verzichte, falls dies notwendig sein sollte. Wegen Ihres Alters. Dabei gibt es keinen Engpass an Beatmungsgeräten, ich würde niemandem den Atem abschnüren. Der Arzt kündigt mir im Morgengrauen, ohne Zeugen, das Unterlassen der Hilfeleistung an. Das Verstörende daran ist, dass ich – vom Schock und Schmerz benommen – nicht aufbegehre. Trotz meiner misslichen Lage beobachte ich das Treiben um mich herum, als wäre ich auf Reportage, rätsle über die sprachlichen Ursprünge all der Akzente des medizinischen Personals.
Die Operation der doppelten Fraktur am rechten Arm dauert mehrere Stunden. In der chirurgischen Abteilung werde ich von einer ganzen Armada umsorgt und bin inmitten lauter Liebenswürdigkeit guter Dinge, nicht zuletzt dank schmerzstillender Opioide. Meine Bettnachbarin erzählt, Schweizer Grenzbeamte hätten sie über die geschlossene Grenze nicht durchlassen wollen, und übrigens sei ihr Großvater Besitzer einer Zeitung in der Nazizeit gewesen. Stürmer? Nein, vom Völkischen Beobachter. Unter Hitler seien die Zeitungen ideologisch gewesen, doch heute sei es nicht anders. Die Presse, die ich lese und für die ich schreibe, ist frei, sage ich bestimmt. Eine Gestalt im Raumfahrtanzug erscheint. Der Corona-Test fällt negativ aus. In der Nacht vor ihrer Schulteroperation schreit die Leidensgenossin – aufgeschreckt vom Alptraum –, sie höre Poltern vom Gang: Corona kommt, um mich zu holen. Da die Physiotherapie für Ü65 noch ausgesetzt ist, entlässt man mich ins selbstständige Üben.
Aisha ist an Corona gestorben, teilt Djiba, der Onkel meines jüngeren Sohnes, am Telefon mit. Tante Aisha sei lungenkrank gewesen und mit Cortison behandelt worden. In einem Pariser Krankenhaus sei sie tagelang im Koma gelegen. Inshallah. Zum Begräbnis habe man nur fünf Verwandte zugelassen. Djiba darf wie alle Londoner seine nahe Umgebung nicht verlassen, der Supermarkt, wo er Regale gefüllt hat, ist Konkurs gegangen, er bezieht Arbeitslosengeld. Der Plan, in seiner Geburtsstadt Kankan in Guinea einen Laden zu eröffnen – nur mit haltbaren Lebensmitteln, da die Bauern keinen Strom zum Kühlen hätten –, rückt in die Ferne.
Nachbarskinder malen mit Rosa und Blau den omnipräsenten Spruch aufs Trottoir: Alles wird gut. Dabei verhält es sich mit der Welt wie mit dem Text – das Après wird so, wie wir es anpacken. Obwohl, Unwägbarkeiten sind stets mit dabei. Der Frühling mit seinen überwältigenden Farben und Düften täuscht nicht darüber hinweg, dass es allzu trocken ist. Das Hoch könnte sich wie vorletztes Jahr bis September halten, sorgt sich mein älterer Sohn, Landschaftsfotograf, und schickt seine Impression aus dem Baselbiet. Wann fangen wir mit dem Schreiben der Klimatagebücher an?
Irena Brežná, Basel, Schweiz
Comentarios