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AutorenbildRotpunktverlag

Romana Ganzoni – Steinpilze schmecken auch roh

18. März 2020


Die Kopfschmerzen sind weg. Der Kaffee schmeckt trotzdem nicht. Jetzt die dritte Tasse. Aus der Bialetti. Schwarz und stark. Lavazza rot. Viva l’Italia! Klingt heute deprimierend. Bergamo. Die Lombardei. Die, die erstickt sind. Ohne Familie. Es sei wie ertrinken, gehe aber viel länger. Ich wäre vielleicht auch im Engadin geblieben. Als Italienerin. Das ganze Dorf voller Mailänder. Mit Kindern und Hunden im Wald. Ich muss husten. Zum Glück kein trockener Husten. Ich bin nur erkältet. Und noch immer Teil der Matratze. Der fleckige Teil am Rand. Draußen die schwächelnde Sonne. Milchiges Drumherum. Aber bestimmt recht warm. Wie im April. Ach, ist ja schon März. Ohne Chalandamarz ist es Mai. Dass der Umzug der Kinder verboten wurde, bleibt ein Skandal. Nach der Absage kam die Zwischensaison über Nacht. Immerhin sind wir die gewohnt. Alles zu. Viel Matsch. Jede Blume eine Sensation. Ich rechne mit vier Wochen, bis der Schnee weg ist. Dann können wir mit dem Garten anfangen. Hoffentlich haben wir keinen Hausarrest. Die werden uns schon ins Unterengadin lassen. Wir brauchen die Setzlinge. Ich will eigenes Gemüse, Salat, Erdbeeren. Wir könnten laufen, wenn wir auf dem Fahrrad auf der Landstraße abgefangen würden. Ich habe endlich etwas geträumt, sage ich zum Mops, der neben dem Bett sitzt und große Augen macht. Die Fenster in der Fabrikhallle waren riesig; stylish das Ambiente. Der Mörder, der mit einem Hammer in der Hand auf mich zu rannte, stank. Jetzt springt der Mops auf die Bettdecke. Beginnt meine Hand zu lecken. Ich verschütte den Kaffee. Noch mehr Flecken. Aufstehen jetzt! Der Mops kratzt sich. Hört gar nicht mehr auf. Nicht schon wieder. Am Ohr bildet sich diese offene Stelle. Unbedingt zum Tierarzt. Genügend Desinfektionsmittel, Salbe, Antibiotikum. Manche haben es noch nicht begriffen. Die Leute in Zürich. Gestern. Halten keinen Abstand. Weichen nicht aus. Das Seeufer. Die Flaniermeile. Der volle Platz vor der Oper. Bergamo ist zu weit weg. Der Mops springt vom Bett zu meinen Taschen. Die Zürichsachen. Mein Schreibort. Geräumt. Geputzt. Den Schlüssel abgegeben. Es wird dauern, bis ich wieder in die Stadt komme. Komm, Mops, wir machen Wasser-Kefir. Wir werden noch Limonade haben, wenn Coop und Volg geschlossen sind. Limonade, Gemüse, Salat, Erdbeeren. Im Herbst Steinpilze aus dem Wald. Die schmecken auch roh.


Romana Ganzoni, Celerina, Schweiz

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