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AutorenbildRotpunktverlag

Alan Cassidy – Kugelsicher, virensicher

12. April 2020

Als ich das erste Mal den Laden in unserer Straße betrat, vor zweieinhalb Jahren, wunderte ich mich über die schusssichere Scheibe vor der Kasse. Sie war mehrere Zentimeter dick, leicht schmutzig, und sie führte dazu, dass man die Frau dahinter nicht sehr gut verstand, wenn sie etwas sagte. Später erfuhr ich, dass der Laden jährlich etwa zweimal ausgeraubt wird. Beim letzten Mal, im vergangenen Oktober, kamen die Räuber um drei Uhr nachmittags. Ich war seither nicht mehr oft im Laden, aber heute morgen – am Ostersonntag – brauchte ich Milch. Die schusssichere Scheibe war immer noch da, und zum ersten Mal ertappte ich mich dabei, wie ich froh darüber war. Was Kugeln abhält, lässt auch keine Viren durch.

Der Frühling kam dieses Jahr viel früher nach Washington. Ich schreibe jetzt manchmal draußen auf der Treppe, die zu unserem Haus führt, damit ich die Nachbarn wenigstens aus der Ferne sehe. Es sind viel mehr Menschen im Quartier unterwegs als sonst, die Hündeler natürlich, Joggerinnen, Jungväter mit Kinderwagen. Die meisten tragen Gesichtsmasken, in den Supermärkten sind sie Pflicht. Die Leute gehen sich aus dem Weg, wenn sie sich kreuzen. Ich glaube, den Amerikanern fällt die Isolation besonders schwer, weil ihnen etwas Wichtiges verloren geht: der kurze Schwatz, das spontane Kompliment, all das, was Europäer oft etwas verächtlich Smalltalk nennen – das hier aber so viel mehr ist. Mir fehlt das alles sehr.

Auch wir gehen jeden Nachmittag mit dem Kinderwagen raus. Meistens spazieren wir über den Campus der Howard University, der alten afroamerikanischen Universität. Dahinter, auf einem kleinen Hügel, liegt das Reservoir. Es ist abgesperrt, aber wenn man durch die Gitter auf das tiefblaue Wasser blickt, ist da wenigstens eine Ahnung von Natur. Auch die Wildgänse sind noch da. In der Ferne glänzt die Kuppel des Kapitols in der Sonne. Der Weg zurück nach Hause führt vorbei am Kinderspital, es gilt als das beste Amerikas, aber schon Mitte März gingen dort die Gesichtsmasken aus. Die Ärzte und Krankenpfleger behelfen sich mit Spenden.

Auch wir tragen Masken, selbst gemachte, aus einem T-Shirt, einer Einkaufstüte und einem eingenähten Waschtüchlein, eines von denen, die wir zum Wickeln verwenden. Es schien uns zuerst lächerlich, aber man gewöhnt sich an alles. Der Nachbar gegenüber hat an seine Haustür ein Blatt Papier geklebt. Darauf steht, in Großbuchstaben: Together we can do this.

Alan Cassidy, Washington, DC, USA

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